Zuhören ist mehr als nicken und Klappe halten
Wenn du ehrlich zuhörst, verstehst du nicht nur dein Gegenüber besser – sondern auch dich selbst. Mit dieser Übung lernst du genau das.
Also, zuerst war es für mich sehr ungewohnt. Meine Gesprächspartnerin musste zwischendurch auch mal lachen, aber das fand ich okay. Ich fand es deswegen sogar sehr angenehm in der Rolle des Sprechenden. In der Rolle des Zuhörenden fand ich es ziemlich schwierig, einfach mal die Klappe zu halten, auf Deutsch gesagt, und keine Rückfrage zu stellen. Aber wenn man das erst mal drin hatte, war es schön, dass man einfach nur zuhören konnte.
Vor anderthalb Wochen habe ich meine Kollegen um einen ungewöhnlichen Gefallen gebeten: »Ich möchte gern ein kleines Selbsterfahrungsexperiment starten. Dafür brauche ich eure Unterstützung. Kurze Erklärung: Ihr findet euch mit einer anderen Person zusammen. Dann habt ihr die Aufgabe, jeweils 5 Minuten erst etwas Negatives und dann etwas Positives zu erzählen, das euch kürzlich passiert ist. Währenddessen hört euer Gegenüber aufmerksam zu – allerdings ohne Rückfragen zu stellen. Danach seid ihr dran, dem/der anderen zuzuhören. Das war’s auch schon!«
Schnell hatte ich die Zusage von 4 Freiwilligen – also 2 Paaren. So wagten sich Autor Dirk Walbrühl und Öffentlichkeitsmitarbeiterin Christine Knappheide gemeinsam an eine »Gesprächsmeditation«. Später haben sich Praktikantin Teresa Liesenfeld und Autor Chris Vielhaus zusammengesetzt. Was passiert, wenn sie 10 Minuten ihre Gedanken und Gefühle teilen? Die Gespräche im Anschluss zeigen: Zuhören kann ein echtes Wundermittel für Beziehungen sein. Und das ist gar nicht so schwierig, wenn wir ein paar Dinge beachten.
Zuhören als Meditation?
Als ich nach der Übung wieder auf die Gesprächspaare treffe, merke ich sofort, dass die Stimmung eine andere ist: Sie wirken beschwingter, irgendwie gelöster. Wie sehr den vieren das Experiment unter die Haut gegangen ist, zeigen ein paar Ausschnitte aus ihren Aufnahmen vor und nach der Übung:
Autor Dirk Walbrühl erzählt vor der Übung: »Ich finde das meistens eher unangenehm, wenn jemand sich auf mich konzentriert, sich nur auf mich fokussiert. Dann fühle ich mich manchmal ganz schön exponiert und ich weiß nicht, ob ich das wirklich so mögen würde.«
Nach der Übung sagt er zu Christine Knappheide: »Ich hätte erwartet, dass mir das Zugehörtwerden unangenehmer ist als das Zuhören, aber das war ganz anders. Das fand ich eine spannende Erfahrung.«
Christine Knappheide merkt an: »Man hat so viel Raum, ne?«
Dirk Walbrühl: »Ja, man hat ziemlich viel Raum, ganz genau. Das habe ich auch gemerkt: Man ist vielleicht gar nicht so im Alltag gewohnt, diesen Raum zu haben.«
Christine Knappheide: »Was ich sehr positiv fand und mir währenddessen schon aufgefallen ist, dass man durch dieses zurückhaltende Zuhören viel mehr bei dem anderen ist und nicht so bei seinen Fragen oder Interessen oder Neugierigkeiten, die man so an den Tag legt, und auch viel mehr über den anderen erfährt. Dadurch, dass man einfach laufen lässt, hörst du ja auch: »Wie baut sich der Gedanke auf, wie ist da die Kausalkette, warum fühlt man sich so, wie man sich fühlt?« Das fand ich sehr spannend.«
Dirk Walbrühl: »Das finde ich auch eine sehr bondende Sache. Obwohl man ja nicht wirklich direkt miteinander interagiert.«
Christine Knappheide: »Ja, es hat total viel Gefühl ausgelöst!«
Dirk Walbrühl: »Könnte man auch als
Christine Knappheide (lacht): »Habe ich auch gedacht. Eigentlich sollten alle Leute, die miteinander arbeiten, das einmal im Monat miteinander machen müssen.«
Autor Chris Vielhaus berichtet Praktikantin Teresa Liesenfeld: »Jetzt im Nachhinein merkt man auch zusätzlich, […] dass man dann direkt so ein Zusammengehörigkeitsgefühl hat, weil man merkt ›Okay, ich bin mit meinen Gedanken gar nicht so allein‹. Man fühlt sich halt stärker miteinander verbunden, auch wenn man sich – wie in unserem Fall – noch gar nicht so lange kennt.«
Was die 4 ausprobiert haben, habe ich mir nicht ausgedacht, es ist eine neue Meditationsform. Bei
Kontemplative Dyaden sind ›laute Meditationen‹: Der Sprecher äußert, was auch immer ihm zu einem bestimmten Thema durch den Kopf geht, während die Anwesenheit des Zuhörers den Fokus für die Kontemplation des anderen stärkt.
Die
Als Mensch, der mit Meditation immer wieder liebäugelt und kämpft, komme ich vor allem nach den starken Reaktionen meiner 4 »Versuchspersonen« bei der Vermutung an: Vielleicht hat aufmerksames Zuhören vielmehr mit Meditation gemeinsam als auf den ersten Blick erkennbar. Bei
Vielleicht ist es beim »erfolgreichen Zuhören« ja genauso, wenn ich als Zuhörer meinem Gegenüber möglichst aufmerksam, offen und wertungsfrei zuhöre und dabei meine eigenen Gedanken vorbeiziehen lasse. Klingt einfach, ist es aber nicht.
Warum Zuhören so schwierig ist
Du hältst dich für einen guten Zuhörer? Dann beantworte ehrlich folgende Frage: Womit hast du dich beschäftigt, als du zuletzt jemandem zugehört hast – oder genauer gesagt, während du nicht selbst gesprochen hast?
Auch wenn es vielleicht unangenehm ist, sich selbst einzugestehen, nicht »voll da zu sein«, beschäftigen wir uns innerlich oft mit anderen Dingen, während das Gegenüber spricht. Vielleicht denken wir darüber nach, was wir antworten möchten (immerhin!), oder denken gar an das anstehende Meeting oder die Abendplanung. Zuhören braucht Konzentration.
Oft hören wir weniger zu, getrieben durch den Drang, endlich antworten zu dürfen.
Wir bewerten, ordnen ein, überlegen, was wir selbst zu dem Thema wissen oder bereits erlebt haben. Wir antizipieren, was das Gegenüber sagen wird und wann es aufhört zu sprechen, und basteln so an unserer Antwort. So entstehen lebhafte Diskussionen und geistreiche Wortwechsel. So schaffen wir es manchmal, den Satz des Gegenübers zu vervollständigen und meistens genau das Satzende des anderen abzupassen.
Auch wenn wir äußerlich still sind – unsere Gedanken plappern munter weiter. Unser Gegenüber und der eigene innere Monolog konkurrieren um
Zuhören hat also viel mit
Hinzu kommt, dass wir nicht (nur) das hören, was tatsächlich gesagt wird: Unser biographischer Hintergrund hat zahlreiche Zuhören ist mehr als Schweigen.
Vielleicht lassen mich all diese Filter ihren Ärger als trivial bewerten, weil er »in meiner Welt«
Die Frage ist also: Wie schaffen wir es, den eigenen Bezugsrahmen zu verlassen und uns wirklich auf das Gegenüber einzulassen? Eine Form des Zuhörens, die viele Wissenschaftler und Theoretiker empathisches oder
Indem wir vor allem eines akzeptieren: Zuhören ist mehr als Schweigen.
So wirst du vom Zuhörer zum aktiven Zuhörer
Aktives Zuhören bedeutet vor allem, dass wir mentalen Raum für die Gedanken und Gefühle – und so auch die Verletzlichkeit – einer anderen Person schaffen, dass wir uns in diesem Moment für sie und gegen anderen Input entscheiden. Und ein Stück weit, einen Moment lang der andere wichtiger ist als wir selbst.
Und das kann jeder lernen. Dabei geht es nicht darum, schablonenhaft Techniken anzuwenden und Verhaltenshülsen zu lernen,
- »Bist du bei mir?« Während du dein Herz ausschüttest oder eine wichtige Frage kommunizierst, haften die Blicke deines Gegenübers auf dem
- »Bist du offen?« Was nach Binsenweisheit klingen mag, ist tatsächlich nachgewiesen: Menschen öffnen sich nur offenen Menschen. Um möglichst offen und wertungsfrei zu sein, kommen wir um ein wenig Selbst(er)kenntnis nicht herum: Welche Wörter oder Themen lösen bestimmte Reaktionen – vielleicht reflexartig – in uns aus? Wann schaltest du mental »auf Durchzug« oder gehst in eine Schutzhaltung, weil du um die starken Gefühle und Gedanken weißt, die bei dir hochkommen?
Ernst genommen werden ist für mich so ein Ding beim Zuhören: Egal ob meine Ansicht die meines Gegenübers bestätigt oder nicht, ich möchte auf jeden Fall Raum bekommen, um meine Ansicht erklären zu können, und dass meine Gedanken und Gefühle einen Grund haben.
Wichtig: Aktives Zuhören ist nicht das Gleiche wie Zustimmung – nur weil wir jemanden seine Sichtweise ausführen lassen, heißt das nicht, dass wir sie unterschreiben. - »Traust du dir Stille zu?« Unangenehme Gesprächspausen kennen (und fürchten) viele Menschen. Trotzdem lohnt es sich, in Gesprächen auch Schweigen und Zögern auszuhalten. Das bringt Ruhe und gibt dem Gegenüber die Möglichkeit, auch mal in sich zu gehen, um um Worte oder Fassung zu ringen.
Dazu gehört auch, nicht jeden Satz des Gesprächspartners - »Verstehe ich dich richtig?« Gutes Zuhören bedeutet »mitzugehen«,
Genau wie andere Fähigkeiten können wir aktives Zuhören also üben. Und warum sollten wir das tun? Tatsächlich geht es beim aktiven Zuhören um mehr, als strategisch zu handeln oder nett zu sein. Denn aktives Zuhören wirkt sich auch positiv auf den Zuhörer selbst aus.
Zuhören zur (Selbst-)Erkenntnis
Manchmal habe ich währenddessen aber ganz starke Assoziationen gehabt. Dann hast du ein Wort oder ein Thema gesagt, wo ich dachte: Oh ja! Da bauen sich relativ starke Assoziationen und auch Emotionen auf.
Hinter unserem Redebedürfnis steht das tief in uns verwurzelte Verlangen nach Bestätigung und Anerkennung und damit auch der Wunsch, uns selbst besser zu verstehen. Ein Missverständnis ist jedoch, dass wir dafür selbst sprechen müssen. Zuhören bedeutet nicht, zu kurz zu kommen. Im Gegenteil, wenn wir uns häufiger bewusst im Zuhören üben, stellen wir fest, wie viel wir als aktiver Zuhörer zurückbekommen. Denn gerade die Gedanken und Gefühle, die uns während des Zuhörens automatisch kommen, zeigen, wie sehr die Aussagen des anderen in uns arbeiten; wir erkennen Facetten von uns im anderen wieder.
Außerdem nehmen wir mehr als Informationen mit, wenn wir jemandem unser offenes Ohr schenken. Wir bekommen
Nicht umsonst bezeichnet der US-amerikanische Sozialanthropologe und Verhandlungsexperte William Ury Zuhören als eine Art Schnäppchen, bei dem wir zugreifen sollten:
Zuhören könnte das günstigste Zugeständnis sein, das wir in einer Verhandlung machen können. Es kostet uns nichts und bringt enorme Vorteile mit sich. Zuhören kann der goldene Schlüssel sein, der die Tür zu menschlichen Beziehungen öffnet.
Titelbild: kyle smith - CC0 1.0