Weibliche Lust muss niemand unterdrücken
Verstümmelt, vergewaltigt, verhaftet: Diesen 5 Frauen wurde beigebracht, dass ihre Körper »sündhaft« sind. Sie alle haben sich gewehrt.
Deborah Feldman wurde in eine ultraorthodoxe jüdische Gemeinde im New Yorker Stadtteil Williamsburg hineingeboren. Mit 17 Jahren verheiratet ihre Familie sie an einen fremden Mann, von dem sie sofort ungewollt schwanger wird.
Doris Wagner trat nach dem Abitur einer streng katholischen Glaubensgemeinschaft bei, die Armut, Keuschheit und Gehorsam verlangt. Als sie einer der Pater das erste Mal vergewaltigt, hat sie schon lange keinen eigenen Willen mehr.
»Sie praktizieren das Patriarchat, die universelle Religion.« – Leyla Hussein, Psychotherapeutin und Aktivistin gegen weibliche Genitalverstümmlung
Die geborene Somalierin Leyla Hussein war erst 7 Jahre alt, als ihre Welt einen Riss bekam. Die Frauen, denen sie zuvor vertraut hatte, Tanten und Nachbarinnen, wurden zu Gewalttäterinnen im Namen von Tradition, Kultur und Religion: Sie verstümmeln Leyla Husseins Genitalien.
Rokudenashiko wuchs in einer Kultur auf, in der weibliche Sexualität ein absolutes Tabu ist.
Vithika Yadav wurde
5 Frauen, 5 Geschichten. Jede könnte für sich stehen, jede von ihnen bietet genug Stoff für ein abendfüllendes Drama. Die Schweizer Regisseurin Barbara Miller hat sich trotzdem dafür entschieden, die Erzählungen der Frauen in einer einzigen Dokumentation zu verarbeiten. Denn es gibt ein verbindendes Element: Allen Frauen wurde beigebracht, dass ihre Körper und ihre Sexualität »sündhaft« sind, dass sie unterdrückt, verstümmelt und versteckt werden müssen, um sich selbst und die Männer zu schützen. Und sie alle haben sich gewehrt.
Seit dem 8. November läuft »#Female Pleasure«
Ein Bestseller als Ticket in die Freiheit
Deborah Feldman ist inzwischen die wohl berühmteste Aussteigerin der
Von den Frauen der ultraorthodoxen jüdischen Gemeinde wird erwartet, dass sie sich unauffällig verhalten: Dass sie lange Röcke und Blusen tragen, die Haare mit Kopftuch oder Perücke bedecken, wenn sie verheiratet sind.

»Gott kann die Frauen nicht so sehr hassen, wie die Religion es zu tun scheint.« – Deborah Feldman, Schriftstellerin
Die Frage, was sie später einmal werden wolle, für was sie sich interessiere, stellte sich in Deborah Feldmans Kindheit nie. In ihrer Gemeinde gab es für Frauen nur die eine Doppelrolle: die der Ehefrau und Mutter.
Den Mann, den sie mit 17 Jahren heiraten musste, kannte sie vorher nicht. Im Film erzählt sie, dass sie nicht im klassischen Sinne aufgeklärt wurde, dafür lernte sie im Heiratsunterricht, worin ihre ehelichen Pflichten bestehen. Nach einem schmerzhaften ersten Mal wurde sie schwanger. In diesem Moment begriff sie, welche Macht die Gemeinschaft über Frauen wie sie ausübte. Von nun an war sie nicht nur für sich selbst verantwortlich, sondern würde auch einen Menschen dazu zwingen, in einem strengen Regelkorsett aufzuwachsen. Doch Deborah Feldman beschloss, einen anderen Weg zu finden.
»Als sich meine volle weibliche Kraft entwickelte, wurde ich zermalmt.« – Deborah Feldman, Schriftstellerin
Schon als Kind hatte sie heimlich Bücher gelesen, nach der Geburt ihres Sohnes Isaac studierte sie ohne das Wissen ihres Mannes Literatur an einer Universität und begann, ihre Geschichte aufzuschreiben.
»Unorthodox« wurde quasi über Nacht zu einem Bestseller, für Deborah Feldman war es auch das Ticket in ein neues Leben für sich und ihren Sohn Isaac. Die Öffentlichkeit bot ihr Schutz und Rückhalt, nachdem die Familie mit ihr gebrochen hatte und sie Morddrohungen erhielt.
Heute lebt sie mit ihrem Sohn in Berlin, der
Für Deborah Feldman war Bildung der Weg in die Freiheit. So ging es auch Doris Wagner, die sich ebenfalls mit einem Buch von ihrer Geschichte und der
Eva oder Maria? Doris!
Wobei im Christentum die Opferrolle für Frauen gar nicht vorgesehen ist. Frauen sind entweder Sünderinnen, wie Eva, oder unbefleckte Heilige, wie Maria. Damit sind die Koordinaten des Frauseins festgelegt. Im Unterschied zu Deborah Feldman hatte sich Doris Wagner zwar freiwillig einer erzkatholischen Gemeinschaft in Bregenz angeschlossen, sie hatte jedoch nicht damit gerechnet, wie sehr ihr Körper und ihre Psyche unter Druck geraten würden.

Als ein Pater der gemischtgeschlechtlichen Gemeinschaft sie das erste Mal vergewaltigt, sucht sie Hilfe – und erfährt Schuldzuweisungen. Es wird Jahre dauern, bis Doris Wagner den Absprung schafft. Im Film erzählt sie, wie die ständige Kontrolle ihre Persönlichkeit vollkommen »entkernte«. Wie in der jüdischen Gemeinde von Williamsburg gab es (und gibt es bis heute!) auch bei der erzkatholischen Gemeinschaft in Bregenz strenge Kleider- und Verhaltensvorschriften, um die Männer ja nicht in Versuchung zu führen.
Eine eigene Sexualität haben Frauen in dieser Welt nicht; der ganze Körper ist Scham.
Doris Wagners Rettung war ein Theologiestudium, die Unterstützung einer Professorin – und ein Mann. Im Film wird nicht erwähnt, dass Wagners späterer Ehemann ein ehemaliger Klosterbruder ist, der die Gemeinschaft später ebenfalls verließ. Das ist ein bisschen schade, denn es wird an vielen Stellen deutlich, dass der Kampf um Gleichberechtigung und gegen die Dämonisierung des weiblichen Körpers keiner ist,
Es kann sich nicht zuerst nur ein Geschlecht ändern. Das ist eine gemeinsame Anstrengung: Wir müssen uns alle ändern.
Das weiß auch Leyla Hussein.
Mit der Heckenschere gegen das Patriarchat
In einer der plakativsten Szenen von »#Female Pleasure« steht die in Mogadischu geborene Londonerin mit einer Heckenschere vor dem quietschbunten XL-Kunststoff-Modell eines weiblichen Geschlechtsorgans. Hinter ihr eine Gruppe konservativer muslimischer Teenager-Jungs, die sich im Interview vor Husseins Präsentation für Jungfräulichkeit vor der Ehe und die Pflege der Tradition ausgesprochen hatten –
Einer von ihnen sagt, er habe gehört, das beruhige Frauen, sie seien dann nicht mehr »wie ein Supermarkt, offen für alle«. Aber was genau da passiert, das wissen sie eigentlich nicht. Leyla Hussein bohrt die Heckenschere in die Knet-Klitoris.

Obwohl Leyla Hussein selbst als Kind von der Prozedur traumatisiert wurde, hat sie sich als unermüdliche
Denn Aufklärung wirkt: Eine jüngst veröffentlichte Studie zeigt, dass die Rate von ostafrikanischen Mädchen, deren Geschlechtsorgane verstümmelt werden, seit dem Jahr 1995 von 71% auf 8% im Jahr 2016 gesunken ist. Die Gründe dafür haben die Autoren nicht untersucht, sie haben aber eine »Arbeitshypothese«: Es liege an der Einstellung der Mütter.
Vulva-Kunst aus dem 3D-Drucker
Für eine kreative Art der Aufklärung hat sich die japanische Künstlerin Rokudenashiko entschieden.
»Ich stellte fest, dass nicht nur meine Werke als Tabu gesehen werden, sondern die Vagina an sich.« – Rokudenashiko, Künstlerin
Ihre Geschichte verdeutlicht die Absurdität des Doppelstandards: Während bei

Rokudenashiko verbrachte einen Monat in Untersuchungshaft, nachdem sie mit einem 2 Meter langen Vulva-Kanu durch Tokio gepaddelt war. Der Aufsatz des Bootes war ein 3D-Modell von Rokudenashikos eigener Vulva, von der sie einen Abdruck gemacht hatte, um sie anschließend zu digitalisieren.
Das Schweigen brechen
Man könnte sagen, dass die in einer traditionell hinduistischen Familie aufgewachsene Vithika Yadav und ihre Geschichte im Film einen natürlichen Kulminationspunkt bilden. Während die Kamera die anderen Frauen dabei begleitet, wie sie ihre Fesseln abwerfen und daran arbeiten, überhaupt erst einmal eine Art Recht auf den Körper zu etablieren, ihn zu zeigen und zu zelebrieren, stellt sich die Zuschauerin nämlich schon manchmal die Frage: Was ist denn nun mit der weiblichen Lust, die der Filmtitel – »#Female Pleasure« – verspricht?
»Die Klitoris … Moment mal, wo ist die überhaupt?« – Titelzeile bei »Love Matters«
Vithika Yadav stellt sich jeden Tag Fragen rund um Sex, Orgasmen, Verhütung und Beziehungen. Gemeinsam mit einem 7-köpfigen Team aus Frauen und Männern betreibt sie die Website
Als junge Frau hat Vithika Yadav geschwiegen, wenn sie von Männern belästigt wurde, heute hat sie ihre Stimme gefunden.

Aber sind wir nicht schon viel weiter? Im Internet häufen sich Angebote zum gemeinsamen
Die Vulva scheint gerade ein echtes Comeback zu erleben – aber es gibt eben auch eine Gleichzeitigkeit vieler Welten. Wenn in Berlin und London Vulven an den Wänden von Kunstgalerien hängen, heißt das noch lange nicht, dass weibliche Geschlechtsorgane enttabuisiert wären. Frauenkörper werden im 21. Jahrhundert überall auf der Welt kontrolliert und politisiert; auch in Deutschland,
Die ineinander verwobenen Geschichten der 5 Frauen in »#Female Pleasure« zeigen, dass die Unterdrückung der weiblichen Sexualität ein globales Problem mit System ist – aber sie zeigen auch, dass man jedes System verändern kann.
Titelbild: unsplash - CC0 1.0