Saubere Luft kann sich hier nicht jeder leisten
Schwarze und Latinos atmen schlechtere Luft und trinken dreckigeres Wasser. Jetzt setzt sich einer der ärmsten Stadtteile von Los Angeles gegen den »Umweltrassismus« zur Wehr.
Paco und Teo steigen aus ihrem Wagen und werfen die Türen hinter sich ins Schloss. Die beiden Mexikaner haben gerade eine Wagenladung Pferdedung von einem nahegelegenen Reitstall abgeholt und einmal quer durch den Süden von Los Angeles hierher gekarrt. Sie schwitzen zwar schon von der Autofahrt bei geöffnetem Fenster, die Arbeit geht jetzt aber erst los: Mit Mistgabeln schaufeln sie die Pferdeäpfel von der Ladefläche auf einen Rasen mitten im »Florence-Firestone Community Garden«.
Für die Menschen hier in Watts, einem der ärmsten Stadtteile von Los Angeles, dessen Bevölkerung zu 98% schwarz oder latinostämmig ist, ist der Gemeinschaftsgarten eine kleine, grüne Oase; hier können sie mit Kürbissen, Kohl und essbaren Kakteen günstig Essen anbauen, am Wochenende Feste feiern und über der Gartenarbeit ihre Alltagssorgen vergessen.
Hebt man im Garten den Blick und lässt ihn über den Zaun hinweg streifen, wird deutlich, warum die Menschen diesen Ort aufsuchen: Lärmende, stinkende Highways liegen in fast allen Himmelsrichtungen in nächster Nähe. Wenige Meter über den Gemüsebeeten baumeln dicke Stromleitungen, am Horizont wippen Ölbohrtürme im Takt.
Wenige Meter über den Gemüsebeeten baumeln dicke Stromleitungen, am Horizont wippen Ölbohrtürme im Takt.
Die Kombination aus krankmachender Umwelt und einer Bevölkerung aus ethnischen Minderheiten ist nicht nur hier in South L.A. – auch Black L.A. genannt – typisch, sondern in den gesamten USA. Von Seattle bis
Wie so oft, wenn eine Gesellschaft auf soziale Missstände aufmerksam wird, schärft erst der Begriff das Problembewusstsein – und mit dem Bewusstsein formt sich der Widerstand.
Black lungs matter – auch schwarze Lungen zählen!
Umweltrassismus schlägt den Betroffenen nicht in Form von
Viele Studien haben den Zusammenhang zwischen
Zur Erinnerung:
Aber warum schwirrt in der Luft von Stadteilen wie Watts so viel mehr herum als in anderen?
Die Elemente sind gegen die Minderheiten
Straßenverkehr, Industriesmog, Abgase aus Kraftwerken, Fracking- und Ölbohrtürme sowie Baustellen:
Die Karte von Los Angeles ist mit Ölflecken übersät,
In Watts kommt hinzu, dass der Stadtteil unter der Einflugschneise des internationalen Flughafens von Los Angeles liegt und die wesentlichen Lastwagen- und Güterzugrouten zum Industriehafen am Stadtteil vorbeiführen. Hier gibt es jede Menge Schwerindustrie. Dem großen Umspannwerk auf der anderen Straßenseite haben es Paco und Teo auch zu verdanken, dass sie ihre Kakteen überhaupt so günstig anpflanzen können: Den kleinen Grünstreifen mieten sie für 100 Dollar im Monat vom Stromnetzbetreiber, dem das Land unter den abgehenden Leitungen gehört.
Die Lebenserwartung in Watts ist rund 12 Jahre niedriger als etwa in Brentwood, einem sehr wohlhabenden Stadtteil von Los Angeles.
Auch wenn die
Das Henne-Ei-Problem
Umweltrassismus ist ein Henne-Ei-Problem: Minderheiten und Umweltverschmutzung ziehen sich gegenseitig an. Weil schlechte Luft und andere Probleme die Grundstücks- und Mietpreise drücken, kommen die günstigeren Wohnlagen vor allem für Arme infrage – und
Konkret bedeutet das: Wenn ein Ölkonzern im Garten eines weißen Ärzte-Ehepaars mit 3 Kindern nach Öl bohrt, hat er mit deutlich mehr Gegenwehr zu rechnen als bei einer alleinerziehenden Latino-Mutter, die unterhalb der Armutsgrenze lebt.
Die Verschmutzer suchen sich Minderheiten also gezielt aus, um ungestört ihrem Geschäft nachgehen zu können.
Ein Beispiel dafür findet sich rund 2.000 Kilometer weiter östlich in der Region Eagle Ford in Texas, wo in den vergangenen 10 Jahren durch neue Frackingverfahren ein kleiner Öl-Boom eingesetzt hat. Ölvorkommen, die zuvor nicht wirtschaftlich zu erschließen waren, sind damit plötzlich lukrativ geworden. Der Nachteil der neuen Verfahren: Das Chemie-Wasser-Gemisch, das in die ölhaltigen Gesteinsschichten gepresst wird, um das kostbare Öl zu lösen, muss in großen Becken aufgefangen und gelagert werden, um es aufzubereiten.
Eine Gruppe von Wissenschaftlern schaute in Texas genauer hin und
Compton ist für Gewalt und Rap bekannt – und für braunes Wasser.
Zurück nach Kalifornien. Wir fahren von Watts aus nach Süden, es geht vorbei an verrammelten Ladengeschäften, an den Bushaltestellen haben sich Obdachlose eingerichtet. Die Bürgersteige gehören hier den Zeltbewohnern, wer irgendwie kann, fährt Auto. Nach 10 Minuten erreichen wir Compton. Die Stadt, die nahtlos an Los Angeles anschließt, ist vor allem für Gewalt und
Und als wären schmutzige Luft, Erde und Wasser noch nicht genug, zeichnet sich in Kalifornien schon die nächste Front ab, an der die Ärmsten auf sich allein gestellt sind: Feuer. Die heftigen Waldbrände, die seit Wochen in Kalifornien lodern, treffen zwar erst mal alle Einwohner gleichermaßen. Doch wer im Zweifelsfall eine Versicherung hat und wer von jetzt auf gleich vor den Ruinen seiner Existenz steht, ist vor allem eine Frage des Kleingelds. Wohin der Trend geht, zeigen der Rapper Kanye West und seine Frau Kim Kardashian:
Doch obwohl das Problem übermächtig erscheint, gibt es Hoffnung für Watts.
Watts erhebt sich
Die Politik hat das Problem erkannt: Viele Bundesgesetze, die unter Barack Obama eingeführt wurden und die Betroffenen vor Umweltrassismus schützen sollten, werden derzeit von der Trump-Regierung wieder zerpflückt,
Und so kommt es, dass sich Watts nun erhebt.
Eine bunte Mischung aus Lehrern, Medizinern, städtischen Mitarbeitern, Geistlichen, Unternehmern und Juristen, insgesamt 400 Menschen aus Watts haben gemeinsam einen New Green Deal für ihren Stadtteil geschmiedet. Watts Rising soll die Nachbarschaft fit machen für den Klimawandel, die Gesundheitsversorgung verbessern und die lokale Wirtschaft ankurbeln. Sie konnten Investments von knapp 300 Millionen US-Dollar organisieren – keine schlechte Summe für die knapp 35.000 Einwohner zählende Gemeinde.
»Watts Rising« soll die Nachbarschaft fit machen für den Klimawandel, die Gesundheitsversorgung verbessern und die lokale Wirtschaft ankurbeln.
35 der 300 Millionen US-Dollar fließen aus einem Fördertopf des kalifornischen Staates nach Watts, der Rest von rund 260 Millionen US-Dollar stammt von privaten Investoren. Das Förderprogramm
In Watts sollen mit dem Geld unter anderem
- über 200 neue, günstige Wohneinheiten,
- 10 Elektrobusse,
- über 4.000 Bäume,
- Fotovoltaikanlagen auf 300 Dächern,
- mehr als 7 Kilometer Fahrradwege und
- über 300 Jobs und 500 Ausbildungsstellen
finanziert werden.
Obwohl die Not groß ist in Watts, gab es hier nie bedeutende Investitionen. Nachdem unsere Gemeinde so lange übersehen wurde, bekommen wir jetzt endlich die Chance, das Beste aus unserer Gemeinde zu machen. Watts ist es wert und Watts erhebt sich!
Lob für das Programm kommt von der Nichtregierungsorganisation California Environmental Justice Alliance (CEJA), die bei der Planung des Förderprogramms einbezogen war. Co-Direktorin Amy Vanderwarker sagte in einer
Teo und Paco würden ihr Wissen gern weitergeben, genug freie Gartenparzellen gibt es auch noch. Die Oase könnte also ruhig noch wachsen. Wenn das in Watts gelingt – warum nicht auch im Rest des Landes?
Die Recherchereise wurde von der Heinrich-Böll-Stiftung Nordamerika gefördert.
Titelbild: Felix Austen - copyright