In diesem Großraumbüro würde selbst dein Chef arbeiten wollen
Großraumbüros nerven und machen einsam – aber nicht wenn wir es richtig anstellen.
Der Arbeitstag von Jan Pablo Rudolph beginnt in der »Agora«. Kein Weg führt an dem L-förmigen Raum vorbei, der so etwas ist wie das Herzstück des Büros, in dem die Mitarbeiter von Unu, einem Berliner Hersteller von Elektro-Motorrollern, gemeinsam arbeiten. Die Wände der Agora sind mit aufbereiteten Backsteinen verkleidet, an den hohen Decken sind Pflanzkästen angebracht, aus denen Efeu nach unten wächst. Auf den 3 Stufen der Holztribüne sitzt jetzt noch niemand. Später werden sich Mitarbeiter hierher zurückziehen, um zu plaudern oder Pause zu machen.
Die Agora war im antiken Griechenland der zentrale Markt- und Versammlungsplatz einer Stadt. Bei Unu hat der Raum eine ähnliche Funktion. Er ist Treffpunkt, Küche und Rückzugsort in einem. Und er führt in ein Großraumbüro, das ganz anders ist als andere und das Jan Pablo Rudolph auch nicht so nennen würde. Er spricht von einem »Open Space«.
Konzepte wie dieses sind noch die Ausnahme. Doch in Zukunft könnte sich die Art und Weise, wie in Büros gearbeitet wird, völlig verändern. Jeder dritte Beschäftigte in Deutschland arbeitet mittlerweile in einem Büro. Rund 1/3 von ihnen wiederum arbeitet
So sieht das moderne Büro mit Köpfchen aus
Auch Unu setzt auf eine solche Kombination: Kleine Gruppen arrangieren sich flexibel, es gibt kurze Wege zu den Kollegen, es gibt die Agora. »Der Vorteil ist, dass man sich schnell absprechen und zusammensetzen kann. Dann kommt man auch schneller zu Ergebnissen«, erklärt Jan Pablo Rudolph. Auch er verzichtet als »Head of Sales« und damit als Führungskraft auf ein Einzelbüro,
»Unsere Schreibtische sind immer ordentlich« – Jan Pablo Rudolph, »Head of Sales« bei Unu
Auf 4 große Räume verteilen sich die Mitarbeiter. 15 Personen arbeiten jeweils in einem Raum. Grünpflanzen sorgen für ein behagliches Ambiente, hier und dort stehen Whiteboards, auf denen Mitarbeiter ihre Gedanken festhalten und illustrieren können. Manchmal stehen auch ein paar bunte Roller der Firma herum.
Und noch etwas fällt auf: Es ist sehr aufgeräumt. Papierstapel und überfüllte Schubladen sucht man vergeblich. »Unsere Schreibtische sind immer ordentlich«, sagt Jan Pablo Rudolph. Bei Unu heißt das Platzhygiene.
Das Start-up hat sich bei seiner Gründung vor 5 Jahren bewusst für eine Großraumbüro-Struktur entschieden. Den Blick auf das ganze Geschehen haben, ein gemeinschaftliches Ziel verfolgen, das wolle man auch durch die Bürogestaltung erreichen, erklärt Jan Pablo Rudolph. Die Werte, nach denen die Unu-Mitarbeiter arbeiten, sind Austausch, Kooperation, Rücksichtnahme und Raum für Rückzug. Der Erfolg und die gute Stimmung am Arbeitsplatz beweisen, dass das Großraumbüro nicht überall so schlecht ist wie sein Ruf.
Deshalb funktionieren normale Großraumbüros nicht
Doch Unu ist eben kein typisches Beispiel dafür, wie es in Großraumbüros normalerweise zugeht. Allzu oft leiden Mitarbeiter unter der Geräuschkulisse, unter der Temperatur und nicht zuletzt unter einer
So fanden Wissenschaftler der Universität Stockholm im Jahr 2014 heraus, dass Mitarbeiter in Großraumbüros besonders häufig krank werden. Grundlage
Auch in Deutschland
Das finden auch die meisten Teilnehmer einer Umfrage, die wir vor Kurzem bei Facebook gemacht haben. Für die meisten Befragten überwiegen die Nachteile, wenn viele Menschen auf engem Raum arbeiten. Und die Vorteile kommen in typischen Großraumbüros auch zu kurz. Eine
»In vielen Großraumbüros ist es erschreckend ruhig« – Svenja Hofert, Karriere- und Managementberaterin
Die Karriereberaterin Svenja Hofert ist nicht überrascht von diesen Befunden. Sie hat regelmäßig mit Menschen zu tun, die in Großraumbüros arbeiten. Diese berichteten ihr häufig von dem Stress, den sie in den Räumen empfinden würden, sagt sie. Vor allem dann, wenn sie zuvor in kleineren und geschlossenen Büros gearbeitet hätten.
»Mitarbeiter reden nicht automatisch mehr miteinander, nur weil sie in demselben Raum arbeiten«, sagt sie. In Großraumbüros finde eine soziale Kontrolle statt, die dazu führe, dass Mitarbeiter sich belauscht fühlen. »In vielen Großraumbüros ist es erschreckend ruhig.«
Dabei komme auch
Gebaut, um Kosten zu sparen
Großraumbüros sind Ende der 1950er-Jahre eigentlich dazu eingeführt worden, um Bau- und Energiekosten zu senken und die Arbeitsleistung der Angestellten zu steigern.
So ist es kein Wunder, dass Großraumbüros einen schlechten Ruf haben. Weil die Ziele von mehr Interaktion und Zusammenarbeit verfehlt werden, entpuppen sie sich als Sparmaßnahme auf Kosten der Mitarbeiter. Innovative Ausnahmen wie das Berliner Start-up Unu ändern daran noch nicht viel.
Heute werden zwar noch weitere Gründe für die Einrichtung von Großraumbüros angeführt, etwa der Abbau von Hierarchien sowie die vermeintliche Förderung von Kommunikation und Zusammenarbeit. Doch die Kostenfrage spielt weiter eine übergeordnete Rolle.
Die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten werden, meint auch die Frage: Wo werden wir arbeiten?
Denn trotz des Trends zu mehr mobiler Arbeit gibt es in Deutschland nicht zu viele, sondern zu wenig Büroflächen. Laut Zentralem Immobilien Ausschuss (ZIA) finden viele Unternehmen in deutschen Großstädten kaum noch passende Räume. Vor allem kleine, weniger finanzkräftige Unternehmen können sich die steigenden Mieten nicht mehr leisten. Das hemme die wirtschaftliche Entwicklung der Städte,
Svenja Hofert, die die Schattenseiten des Großraumbüros kennt und selbst erfahren hat, welche Beklemmungen diese Arbeitsumgebung auslöst, zeigt sich trotz allem auch optimistisch: »Ich glaube schon, dass ein Großraumbüro, in dem sich alle wohlfühlen, möglich ist.«
Das Büro wird zum Dreh- und Angelpunkt
Ein Büro, in dem Arbeiten angenehm und trotzdem produktiv ist – das ist der heilige Gral der Arbeitswelt. Und die Suche nach ihm wird für Architekten, Wissenschaftler, Unternehmensberater und Firmenchefs immer wichtiger. Schließlich werden in Zukunft noch mehr Menschen in einem Büro arbeiten als heute.
Der ZIA erwartet aber nicht nur, dass der Bedarf an Büroflächen weiter steigt. Eine attraktive Arbeitsumgebung wird nach Ansicht des Wirtschaftsverbandes auch immer wichtiger für die Menschen, die in den Büros arbeiten. Und zwar wichtiger als finanzielle Anreize und Aufstiegsmöglichkeiten. Die Frage, wie wir in Zukunft arbeiten werden, meint auch die Frage: Wo werden wir arbeiten?
Durch die Digitalisierung und den Wunsch nach mehr Selbstbestimmung diene das Büro immer weniger als Ort für die Abarbeitung von Sachaufgaben, sondern als »Hub«, schreibt Architekt Sven Bietau in einem aktuellen
Das Büro der Zukunft heißt »Multispace«
Aber wie kann das gelingen, wie kann das Großraumbüro zu einem besseren Ort werden? Die Antwort des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation lautet: mit Multispaces. Das ist das Ergebnis einer
54% dieser Fachleute aus Architektur, Beratung, Design und anderen Branchen erwarten, dass sich Multispaces in Zukunft zur dominanten Büroform entwickeln werden. In der Fraunhofer-Studie schneidet die Büroform besser ab als alle anderen Formen wie etwa Einzelbüros. Außerdem erhalten Multispaces die größte Zustimmung bei der Frage, welche Büroform die Ziele des Unternehmens am besten unterstützt.
Dass sich das Großraumbüro wandelt, belegen auch Tausende Bilder von modern gestalteten Arbeitsplätzen, die bei Instagram zu sehen sind. Sie geben einen Eindruck, wie Arbeitsräume in Zukunft aussehen könnten. Dabei sind Multispaces mehr als ein aufgehübschtes Großraumbüro.
Sie sind vielmehr eine Kombination verschiedener Büroformen. Es gibt große, offene Bereiche für intensiven Austausch und interaktive Zusammenarbeit. Daneben gibt es geschlossene Räume für Teamsitzungen, stilles Arbeiten und vertrauliche Gespräche. Das Ziel dieser Büroform ist es, das Arbeitsambiente freundlicher zu machen und gleichzeitig verschiedenen Zwecken gerecht zu werden.
Gerade Ruhezonen sind für einen flexiblen Büroalltag besonders wichtig, findet auch Karriereberaterin Svenja Hofert. Für hochkomplexe Tätigkeiten sei die
»Wir wollen es so simpel wie möglich halten. Man braucht keinen Schnickschnack« – Jan Pablo Rudolph, »Head of Sales« bei Unu
Auch das Berliner Start-up Unu ist eigentlich ein solcher Multispace und kein Großraumbüro mehr. »Wir haben verschiedene Räume, in denen jeweils Teams sitzen, die viel zusammenarbeiten«, erklärt Jan Pablo Rudolph. So können Tische je nach Bedarf neu angeordnet werden. Die Büroeinrichtung ist frisch und modern, aber zurückhaltend. »Wir wollen es so simpel wie möglich halten. Man braucht keinen Schnickschnack«, sagt er. Das Unternehmen hat zwar in gute Stühle, Tische und eine Schalldämpfung investiert. Dennoch ist die Einrichtung nicht teurer gewesen als die eines herkömmlichen Büros.
Damit es in einem Multispace tatsächlich klappt, sind aber auch die Mitarbeiter gefragt. Denn wenn Büroräume offener werden, ist es umso wichtiger, dass Kollegen rücksichtsvoll miteinander umgehen.
Bei Unu finden keine Privatgespräche am Arbeitsplatz statt. Dafür gibt es die Agora. Gibt es Berufliches zu besprechen, kann man auf kurzem Weg den direkten Austausch suchen. Man darf die Kollegen aber auch freundlich zurückweisen, wenn es gerade nicht passt. Und wer seine Ruhe braucht, sucht sich einen freien Stehtisch oder macht es sich mit einem Sitzkissen auf dem Teppich bequem. Irgendwo ist immer der richtige Ort zur richtigen Zeit.
Titelbild: Unu - copyright