Du hast genug vom Kapitalismus? Wie Wirtschaft jenseits von Markt und Staat funktioniert
Menschen auf der ganzen Welt machen schon heute vor, wie es geht. Und auch du kannst sofort loslegen.
Einmal die Woche arbeite ich in einem Coworkingcafé im Berliner Bezirk Wedding. Bei einem meiner letzten Besuche ist es schon recht voll, als ich ankomme. Ich quetsche mich mit meinem Laptop an den letzten freien Tisch in einer Ecke, direkt neben einen Stapel Kisten, die bis an den Rand mit Kartoffeln, Karotten und Rhabarber gefüllt sind.
In den folgenden Stunden kommt hier immer mal wieder jemand vorbei, packt einen Beutel mit Gemüse, stellt ihn auf eine kleine Waage, notiert ein paar Zeilen in einem Notizbuch und verschwindet dann wieder – ohne am Tresen des Cafés etwas zu bezahlen. Als sich das Ganze ein paar Mal wiederholt hat, spreche ich eine Frau an. Für wen sie das Gemüse hier abhole? »Na, für zu Hause!« Sie sei, wie die anderen Gemüse-Abholenden an diesem Tag, Teil einer sogenannten »Solidarischen Landwirtschaft« (SoLaWi).
Die Menschen, die in meinem Coworkingcafé ihr Gemüse abholen, sind Teil einer Wirtschaftsgemeinschaft, die jenseits von Märkten funktioniert. Für das, was sie tun, gibt es ein Wort: Sie betreiben »Commoning«.
Commoning hat 3 symbiotische Aspekte: alltägliches soziales Miteinander, bewusste Selbstorganisation durch Gleichrangige und sorgendes und selbstbestimmtes Wirtschaften.
Durch Commoning entstehen »Commons«. Im Deutschen ist auch oft von Gemeingütern oder der Allmende die Rede – gemeint sind damit gemeinsam genutzte Ressourcen wie Wasser, Land, Energiequellen, aber auch Software-Code oder Wissen.
Für die Commons-Aktivistin und Autorin Silke Helfrich sind Commons sogar noch mehr als das, nämlich »soziale Strukturen, in denen Menschen ihre gemeinsamen Probleme in selbstorganisierter Art und Weise angehen.« Helfrich beschäftigt die große Frage, wie alternative Wirtschaftskonzepte aussehen können, die jenseits von
Sie meint: Das alte Team aus Markt und Staat ist ein Sanierungsfall.
Ob und wie sich Gemeinschaften auch jenseits von Markt und Staat organisieren und kooperativ Güter produzieren können, das beschäftigte auch die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Elinor Ostrom, die vor allem eines leistete: Mit akribischer Feldforschung auf der ganzen Welt hat sie den Mythos von der sogenannten »Tragik der Allmende« erfolgreich dekonstruiert.
Was sind Commons? Oder: Der Mythos von der »Tragik der Allmende«
Einer der geistigen Väter dieser Tragödie heißt Garret Hardin. In
Hardins Annahme: Jeder Schäfer versucht in dieser Situation, möglichst viel für sich herauszuholen und immer mehr Schafe auf der Weide grasen zu lassen – bis irgendwann gar kein Gras mehr auf der Wiese wächst. Der Einzelne hat rational gehandelt und seine Interessen verfolgt, auch wenn er schon vor der Katastrophe absehen konnte, dass sein unsoziales und unkooperatives Verhalten am Ende allen schadet. Aber schließlich will niemand der Dumme sein, der sich selbst zurückhält und dann am Ende dabei zuschaut, wie andere von frei zugänglichen Ressourcen profitieren.
Darin liegt die Tragödie. Jeder ist gefangen in einem System, das ihn dazu treibt, seine Herde grenzenlos zu vergrößern – in einer Welt, die begrenzt ist. Die Menschheit rennt also in Richtung Ruin, während alle ihre Interessen in einer Gesellschaft verfolgen, die daran glaubt, dass Gemeingüter frei sind.
In den 1960er- und 1970er-Jahren wurde der feste Glaube daran geprägt, dass Menschen unweigerlich unkooperativ handeln, wenn es da nicht jemanden gibt, der sie im Zaum hält. Und daran, dass es genau 2 Lösungen gibt, die verhindern, dass Meere überfischt, Wälder gerodet oder Wasserquellen zum Versiegen gebracht werden: zentrale, also staatliche Kontrolle und Verwaltung – oder die Umwandlung von Gemeingütern in Privateigentum.
Wenn der Weidegrund nur mir gehört, habe ich schließlich ein Interesse daran, ihn möglichst lange zu nutzen und werde also nur so viele Schafe auf die Wiese treiben, wie es im Sinne einer nachhaltigen Nutzung vernünftig ist. Solange mir und meinen Schafen niemand in die Quere kommt, geht meine Rechnung wahrscheinlich auf.
Der Politologin Elinor Ostrom war das zu einfach, zu schablonenhaft gedacht – auf zahlreichen Forschungsreisen in der ganzen Welt hatte sie mit eigenen Augen beobachtet, dass es auch anders geht. Dass es nicht immer unbedingt eine Autorität von außen und oben geben muss, die Regeln durchsetzt und Strafen verhängt, wenn sie jemand bricht. Denn überall auf der Welt geben sich Gemeinschaften eigene Regeln und handeln kooperativ miteinander, wenn es um die Nutzung gemeinsamer Ressourcen wie Wasser, Wälder oder Weideland geht. Ihre Erkenntnisse veröffentlichte Ostrom im Jahr 1990 in dem Buch
Die wichtigste Erkenntnis: Allmenden funktionieren, aber sie brauchen Regeln.
Diese Bedingungen müssen erfüllt sein, damit Commoning funktioniert
Titelbild: Elaine Casap - CC0 1.0