Diese Stadt ist der Geheimtipp von Facebook und Google
Nirgendwo in Afrika erwachen so viele Ideen zum Leben wie in Lagos. So krempeln Technik und Kunst das Leben in Nigeria um.
Lagos ist vielfältig und Lagos boomt. Kaum eine andere Stadt auf der Welt wächst so schnell wie die nigerianische Metropole: Heute leben etwa 20 Millionen Menschen in Lagos; mehr als doppelt so viele wie bei der jüngsten
Doch
Lösungen werden vermehrt an unerwarteten Orten gefunden. Seit Beginn des Jahrzehnts verändern und beflügeln 2 Faktoren Lagos in rasantem Tempo: Digitalisierung und Globalisierung. Die Start-up-Szene boomt genauso wie der Kunst- und Kulturbereich. Gemein haben diese Szenen nicht nur ihren gleichzeitigen Aufschwung, sondern auch das Ziel, gesellschaftliche Probleme in Nigeria anzugehen und die Herausforderungen des Landes als Chancen zu begreifen. Zeit für einen Besuch.
Die Start-up-Szene in Lagos wird weltweit umworben
Eigentlich liegt der internationale Flughafen in Lagos nur 15 Kilometer vom Zentrum entfernt. Mein Taxi kriecht jedoch schon seit 2 Stunden über die verstopften Einfallstraßen. Viele afrikanische Großstädte kriegen ihr Verkehrsaufkommen nicht in den Griff, warum sollte es ausgerechnet in Lagos, der größten Stadt des Kontinents, anders sein?
Immerhin bleibt bei dem langsamen Tempo genügend Zeit, erste Eindrücke durch die Fensterscheibe zu sammeln. Lagos liegt an einer Lagune direkt am Atlantik. Hinter
2017 waren Facebook-Gründer Mark Zuckerberg und Google-CEO Sundar Pichai da.
In diesen Teil der Stadt schickten im vergangenen Jahr gleich 2 der wichtigsten Digitalunternehmen ihre Geschäftsführer:
Ich besuche den Leadspace, einen von rund 20
»Nächstes Jahr werden Animationen aus Nigeria total durch die Decke gehen. Hier passiert gerade unglaublich viel«, sagt Austine Osas von Guereza Animation begeistert. Gemeint sind zum Beispiel animierte Kurzfilme, Infografiken und digitale Illustrationen.
Plötzlich macht es laut »Knack« und es ist
Mit einem Wert von rund 2 Milliarden US-Dollar ist Lagos mittlerweile vor Nairobi und Kapstadt
Zudem stellten Investoren im vergangenen Jahr den Gründern in Nigeria so viel Geld bereit wie in keinem anderen afrikanischen Land. Derzeit gibt es in der Stadt zwischen 400 und 700 aktive Start-ups.
Der wichtigste Grund für die rasante Entwicklung der vergangenen Jahre ist ein Zusammenspiel von 2 Faktoren. Zum einen wurden innerhalb eines kurzen Zeitraums Smartphones besser sowie günstiger und damit für viele Menschen erschwinglich, zum anderen fielen die Internetpreise in Nigeria dramatisch. Somit ist ein riesiger potenzieller Kundenstamm für digitale Unternehmen quasi über Nacht entstanden.
Die Start-ups clustern sich in Yaba Valley
Ähnlich dem Silicon Valley bei San Francisco gibt es auch in Lagos ein Tal, in dem sich die Szene konzentriert: Yaba Valley.
Auch der LeadSpace liegt dort. Kurz bevor sich der letzte Entrepreneur in der Runde vorgestellt hat, macht es erneut »Knack« und das Licht geht wieder an.
Stromausfälle sind ein ständiger Begleiter in Lagos. Die Menschen lassen sich zwar nicht aus der Ruhe bringen, gestehen aber, dass sie von zahlreichen Schwierigkeiten häufig zurückgeworfen werden.
»Gerade die Herausforderungen in Nigeria können uns die größten Chancen bieten.«
Im
Eine ähnliche Entstehungsgeschichte hat das Start-up Okadabooks.
Der Buchdruck war eine Revolution – ist diese App die nächste?
Er sagt, die Leute meinten eigentlich, Nigerianer lesen keine gedruckten
Nigerias Verlagsbranche ist in keinem guten Zustand. Gedruckte Bücher sind ausschließlich in Städten zu finden und zudem sehr teuer. Ofili erkannte die Marktlücke und entwickelte mit Okadabooks eine digitale und erschwingliche Alternative.
In der App können Bücher veröffentlicht, gekauft, gelesen und diskutiert werden. Das Konzept geht auf. Fast 200.000 Nutzer haben sich laut Ofili bereits bei Okadabooks angemeldet, weit über 1/4 davon loggt sich jeden Monat ein. Der durchschnittliche Preis pro Buch liegt bei einem Dollar, viele Bücher gibt es auch kostenlos.
Okadabooks will Vielfältigkeit und Bildung fördern, sagt Ofili: »Wir haben zum Beispiel
»Warum arbeiten wir nicht daran, den Yellow Bus Transport zu verbessern?«
Wie viele erfolgreiche Start-up-Unternehmer hat Ofili im westlichen Ausland studiert. Er gehört somit nicht zu dem Teil der Bevölkerung, der mit den größten Schwierigkeiten zu kämpfen hat. In seiner Kindheit und Jugend habe es tatsächlich nicht an Büchern gemangelt. Auf die Frage hin, ob diese gesellschaftliche Diskrepanz auch ein Problem sein kann, überlegt er erst eine Weile.
Ofilis Beispiel: Uber. Viele junge Unternehmer versuchten derzeit, die Fahrdienst-App herauszufordern. »Aber Uber ist für große Teile der Bevölkerung immer noch ein unbezahlbarer Luxus. Warum arbeiten wir nicht daran, den Yellow Bus Transport zu verbessern?« Das meistgenutzte öffentliche Verkehrsmittel Nigerias ist notorisch überlastet, die Busse sind marode und Fahrer oft übermüdet, sodass es häufig zu lebensgefährlichen Unfällen kommt.
Auch bei Okadabooks gibt es
Auch der Kunst- und Kulturbereich in Lagos boomt
Auch im Kunst- und Kulturbereich in Lagos geht es seit Beginn des Jahrzehnts mit großen Schritten voran. Ein Beispiel ist das LagosPhoto Festival. Seit 2010 findet die Veranstaltung jedes Jahr statt und
»Hier gibt es ein Verlangen nach Kunst, das Europa irgendwie verloren gegangen ist.«
»Das Festival ist mittlerweile international sehr bekannt. Wir bekommen immer wieder Anfragen aus dem Ausland von Leuten, die das Konzept gern nachahmen möchten«, sagt Maria Pia Bernadoni. Sie ist eine gefeierte Kuratorin aus Italien und gemeinsam mit Azu Nwagbogu Co-Organisator des Festivals. Seit 3 Jahren kommt sie jedes Jahr für mehrere Wochen nach Lagos. »Es ist zwar sehr viel Arbeit, aber jedes Mal wenn ich hier bin, fühle ich mich erfrischt. Hier gibt es eine Energie, ein Verlangen nach Kunst, das Europa irgendwie verloren gegangen ist.«
Jan Hoek und Stephen Tayo, beide Künstler des Festivals, geht es ähnlich. Tayo stammt aus Lagos. »In den letzten Jahren hat sich in der Kunst- und Kulturszene hier sehr viel getan. Natürlich ist da LagosPhoto, aber wir haben jetzt zum Beispiel auch eine eigene Biennale und Art X, eine internationale Ausstellung für zeitgenössische Kunst.«
Hoek ist für LagosPhoto aus Amsterdam angereist. »Ich war begeistert, als ich gesehen habe, dass die [kulturelle] Explosion in Lagos, von der ich von überall zu hören bekommen habe, wirklich stattfindet – und das mit so viel Energie. Die Galerie-Eröffnungen hier sind eher wie Clubpartys, mit Cocktails und Tänzern.«
»Es leckt sich nicht von alleine«
In der Galerie Quintessence, bei einer der vielen Ausstellungen des LagosPhoto Festivals, treffe ich Papa Oyeyemi. Die Stadt ist groß, aber in der Szene kennt man sich.
Papa Oyeyemi ist Modedesigner. Vor 10 Jahren gründete er sein Label Maxivive – mit 15 Jahren. »Ich habe alle meine alten Klamotten weggegeben und mir 2 Shirts und eine Hose gemacht. Die habe ich dann für 6 Monate getragen. Meine Eltern wollten mich damals zur Therapie schicken.«
Nicht nur zu Hause eckte er an. Seine neueste Kollektion spielt mit Geschlechterrollen. Unterwäsche bedruckt er mit Sätzen wie »Es leckt sich nicht von alleine« und »Gott will, dass Du Dich anfasst« – zu viel Freiheit für viele Nigerianer. »Das Medienecho hier in Nigeria war furchtbar. Dazu kamen Hunderte beleidigende Kommentare in sozialen Medien.«
Im Ausland schlug seine Arbeit jedoch ein.
Aber auch in Nigeria kommt seine Arbeit zunehmend besser an: »Es gibt jetzt viel mehr Freiheit, Möglichkeiten und Akzeptanz als noch vor ein paar Jahren.« Die Kunst- und Kulturszene werde immer mutiger. Oyeyemi sagt, seine neue Linie wäre zum Beispiel vor ein paar Jahren so nicht möglich gewesen. Nigeria ist ein sehr konservatives Land und zu ungefähr gleichen Teilen christlich (im Süden) und muslimisch (im Norden) geprägt. Nur 1% der Bevölkerung bezeichnet sich als nicht religiös. Homosexualität ist illegal und kann mit bis zu 14 Jahren Gefängnis bestraft werden. Ein Modelabel, das zu Oralverkehr und Selbstbefriedigung aufruft und mit Geschlechterrollen spielt, ist vor diesem Hintergrund fast schon revolutionär.
Und dann sagt er noch, er möchte seine Arbeit auch nutzen, um Menschen zu bilden. »Ich glaube nicht, dass alles mit der Zeit besser wird. Es wird nur besser mit Licht.«
»Wenn es zusätzliche Probleme gibt, dann werden eben zusätzliche Lösungen gefunden.«
Bei Start-ups, in Galerien oder bei Modedesignern – immer wieder stößt man in Lagos auf das Credo »Unsere Herausforderungen sind unsere Chancen«. Maria Pia Bernadoni, die Kuratorin von LagosPhoto, fasst das so zusammen: »Ein Festival zu organisieren, ist in Lagos 10-mal komplizierter als in Italien.« In Europa hätte man längst das Handtuch geworfen. »Hier ist es aber so, wenn es zusätzliche Probleme gibt, dann werden eben zusätzliche Lösungen gefunden. Dieser Enthusiasmus und die Kreativität hier beeindrucken mich immer wieder aufs Neue.«
Vielleicht ist es genau diese Kreativität, die die Stadt gerade beflügelt.
Titelbild: Bas Losekoot - copyright