Ich will gern nachhaltig leben. Aber es macht mich fertig
Ich versuche alles richtig zu machen und meiner Umwelt nicht zu schaden. Doch das treibt mich in den Wahnsinn. »Ökorexie«: Wenn grüner Perfektionismus krank macht.
Supermärkte betrete ich nur, wenn es sein muss. Vielleicht, wenn ich mit einem Freund unterwegs bin und nicht unhöflich sein will oder mir nach 20 Uhr eine Zutat fürs Frühstück fehlt.
Supermärkte machen mich fertig, weil ich mir
Leide ich etwa an »Ökorexie«?
Und ich habe das Problem nicht nur beim Essen: Vor Kurzem brauchte ich einen neuen Gürtel, weil mein alter auseinanderzufallen drohte. Vegan sollte er sein, lokal und fair produziert, ohne Schadstoffe. Und wie wird er verpackt und geliefert? Die Option »Fahrradkurier« konnte ich nirgends finden.
Ich habe kein Auto, sondern ein Rad und
Als ich vor einigen Monaten eine
Wenn grüner Perfektionismus krank macht
Tatsächlich gibt es mittlerweile viele Menschen wie mich, die sich bei jeder Entscheidung im Alltag fragen: Wie schlecht ist das jetzt?
So wie die Niederländerin Merel Visser, die nachts aufwacht und mit blanken Knien auf dem Küchenboden umherrutscht, um panisch nach der alten Zeitung zu suchen, die nach dem Bastelnachmittag mit der Tochter im
Bevor du jetzt eilig im (digitalen) Lexikon nachschaust: Nein, bisher kann niemand »Ökorexie« diagnostizieren, weil es
Das Gefühl, niemals in der Lage zu sein, genug zu tun, um einen umweltfreundlichen Lebensstil zu erreichen.
Doch was, wenn aus diesem Gefühl »mehr« wird? Wenn der Wunsch, sich ökologisch »richtig« zu verhalten,
Tatsächlich bestätigen Psychologen und Therapeuten, die sich des Phänomens annehmen, dass »Ecorexia« oder eben »Ökorexie« – wenn sie in Zukunft diagnostiziert würde –
»Ich weiß gar nicht mehr, was ich glauben soll.« – Patienten mit »Ökorexie«
Das Problem dabei: Das nachhaltigste Verhalten ist nicht klar definiert. Ist »bio« wichtiger als »fair«? Ist der Apfel aus Deutschland, der Monate im Kühlhaus verbracht hat, wirklich nachhaltiger als der aus Neuseeland? Ist die Papiertüte wirklich umweltfreundlicher als
Einen Arzt oder Therapeuten aufsuchen sollte jeder, der wirklich leidet, denn wie bei jeder psychischen Krankheit gilt auch hier:
Nachdem ich mir sämtliche Beiträge zu »Ecorexia« zu Gemüte geführt hatte, blieb vor allem ein Gedanke bei mir hängen: Die nachhaltigste Lösung ist, nicht zu konsumieren, was in letzter Konsequenz
3 Fragen als »Ökotherapie«
1. Wie viel konsumiere ich?
Egal ob Laptop, Auto oder Waschmaschine – der Löwenanteil an negativen Umwelteinflüssen von Produkten fällt während der Produktion und
Die erste Frage ist also immer: Brauche ich das (wirklich)? Und wenn ja: Kann ich es auch gebraucht bekommen (oder Altes reparieren)?
2. Was konsumiere ich?
Flugreise, Rindersteak oder Eigenheim: Wie oft war ich schon an Diskussionen beteiligt, bei denen es um die Frage nach dem »größten Klimasünder« ging. Auch hier hat Babette Porcelijn ihre Zahlenliebe ausgelebt und eine Top 10 der klimaschädlichsten Wirkungen unseres Konsums berechnet (bezogen auf den Durchschnitts-Niederländer).
Auf Platz 1 schaffen es – zur Verblüffung vieler – unsere
3. Wie konsumiere ich?
Vereinfacht gesagt habe ich 2 Möglichkeiten, mit den Erkenntnissen von Babette Porcelijn umzugehen: Ich kann mich selbst so sehr unter Druck setzen, das »Richtige« zu tun, dass ich die »Ökorexie«-Diagnose erhalten werde, sobald sie offiziell anerkannt ist. Oder ich kann das Wissen nutzen und als mündige Konsumentin Entscheidungen treffen.
Ich kann mir immer und immer wieder bewusst machen, dass es keine einfachen Antworten auf ethische Fragen gibt, ja, das
Dass aber der Versuch, sich einem solchen anzunähern, sich den Schwierigkeiten zu stellen, statt sie zu ignorieren, nicht nur der vielleicht ethischste Weg insgesamt ist, sondern sogar Spaß machen kann. Dazu gehört auch die Erkenntnis, dass uns Schuldgefühle nie zum »besseren Menschen« machen, denn kreise ich nur um mich selbst, ist das am Ende das Gegenteil eines ethischen Lebens. So besteht der beste Weg, ein ethisches Leben zu führen, vielleicht gerade nicht darin, Antworten auf alle Fragen zu finden, sondern gewillt zu sein, sich mit schwierigen und komplexen Fragen zu beschäftigen.
Dann wird aus meinem Schmunzeln ein Lächeln.
In der niederländischen Doku zum »Ringen grüner Menschen« finden sich die unterschiedlichsten Personen in einer Art Selbsthilfegruppe zusammen. In einem Stuhlkreis erzählen sie von den persönlichen Herausforderungen, denen sie täglich als potenziell »grüne Menschen« begegnen. Fleischfrei oder Familientradition? Berufliche
Ja, auch ich kann mir zunächst ein Schmunzeln nicht verkneifen, weil die Szene irgendwie zu therapeutisch, fast klinisch wirkt. Dann wird aus meinem Schmunzeln ein Lächeln und ich wünsche mir, dass auch andernorts Menschen zusammenkommen, um ohne Allmachtsanspruch, ohne Rechthaberei und ohne Dogmatismus über ihre Rolle in einer nachhaltigen Zukunft zu sprechen.
Weitere Informationen zu dieser Förderung findest du hier!
Mit Illustrationen von Adrian Szymanski für Perspective Daily