Terror ist ein Thema, mit dem sich wohl niemand gern und oft beschäftigen möchte. Zu grausam sind die Bilder der letzten Monate nach den Anschlägen in Sri Lanka und Neuseeland. Einer, der nicht wegschauen will, ist der britische Soziologe Tahir Abbas. Er forscht zu den Mechanismen, durch die sich Menschen radikalisieren. Im Interview spricht er über den Teufelskreis, der den Terror möglich macht.
Tahir Abbas
Seit 2018 forscht er am »Institute of Security and Global Affairs« der renommierten niederländischen Universität Leiden. Seine Lehrveranstaltungen drehen sich um gesellschaftliche Dynamiken, die Terrorismus und politische Gewalt bedingen können.
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Tahir Abbas
Haben Sie die Nachrichten über den am 15. März schockiert?
Tahir Abbas:
Der Moment, in dem man zum ersten Mal von so etwas hört, ist unglaublich schockierend. Vor allem, dass der Terrorist seine Tat live in sozialen Medien gestreamt hat. Das Video hat sich dann wie ein Lauffeuer im Netz verbreitet und dem Ganzen einen perversen Videospielcharakter gegeben. Es stellt sich aber doch die Frage, ob uns ein solches Ereignis noch überraschen sollte. Denn in den letzten Jahren haben wir einige Anschläge dieses Kalibers gesehen. Dabei wurden Synagogen, Kirchen und Moscheen angegriffen.
Gut einen Monat nach dem Anschlag in Neuseeland explodierten am Ostersonntag mehrere Sprengsätze in der Hauptstadt Sri Lankas – auch in 3 Kirchen.
Tahir Abbas:
Die hohe Zahl der Opfer dieser zeitgleichen Bombenanschläge schockierte mich zutiefst. Alles deutet doch darauf hin, dass die Drahtzieher alles in ihrer Macht Stehende getan hatten, um maximalen Schaden zu verursachen. Es war einer der schlimmsten Terroranschläge seit den Ereignissen vom 11. September 2001. Aber auch das überraschte mich nicht. Christen in ihren heiligen Institutionen und an ihren Feiertagen anzugreifen – die Terroristen ließen es so aussehen, als sei ihre Tat eine Antwort
Wie konnte es in Christchurch soweit kommen, dass ein Mann bis an die Zähne bewaffnet in 2 Moscheen hineinstapft und ohne Zögern so viele Menschen erschießt?
Tahir Abbas:
Zum einen war es der leichte Zugang zu Waffen. Zum anderen war es die Ideologie. Dieser Mann hat sich jahrelang auf die Tat vorbereitet. Er wählte den richtigen Moment, hatte das Training und die schweren Schusswaffen. Er schrieb sogar ein Manifest – ein narzisstischer Akt, um seine Tat zu rechtfertigen. Er erzählte uns ganz genau, welche Seite er vertritt: In seiner Welt sind Muslime legitime Ziele, weil sie für ihn historisch und bis heute als Eindringlinge gelten. Außerdem wächst ihr Anteil an der Bevölkerung im Westen. Deshalb müsse man sie eliminieren.
Beide Anschläge sind ein trauriger Beleg für die Theorie, die Sie in Ihrem neuen Buch besprechen: den Teufelskreis von Islamophobie und Radikalisierung. Was hat es damit auf sich?
Tahir Abbas:
Islamophobie ist definiert als Hass auf den Islam und auf Muslime, der heute in vielen Kontexten normalisiert ist. Darunter fällt auch und auf institutioneller Ebene, wo muslimische Angelegenheiten nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit gewürdigt werden. Wir sehen auch mehr Hassverbrechen wie Angriffe auf Moscheen. Nach Christchurch stieg die Zahl dieser Verbrechen in Großbritannien um ein Vielfaches an.
Illustration:
Mirella Kahnert
Radikalisierung wiederum ist ein Prozess und es wird viel diskutiert, was sich nun genau dahinter verbirgt. In mancher Hinsicht kann Radikalisierung sogar fruchtbar sein. Denn jede Art von sozialer Reform und Aktivismus braucht eine radikale solange sie nicht in Gewalt umschlägt. Und genau das beobachten wir bei Links- und Rechtsextremisten und bei radikalen Islamisten. Deren Radikalisierung Deren Utopie ist eine Welt ohne den anderen. Islamophobie beeinflusst also die Radikalisierung von Islamisten, aber auch die von Rechtsextremisten.
In Großbritannien stieg die Zahl der anti-muslimischen Hassverbrechen in der Woche, nachdem ein weißer Rassist Gläubige in 2 neuseeländischen Moscheen getötet hatte, um 593%.
Mit Illustrationen von
Mirella Kahnert
für Perspective Daily
Juliane schlägt den journalistischen Bogen zu Südwestasien und Nordafrika. Sie studierte Islamwissenschaften und arbeitete als freie Journalistin im Libanon. Durch die Konfrontation mit außereuropäischen Perspektiven ist ihr zurück in Deutschland klar geworden: Zwischen Berlin und Beirut liegen gerade einmal 4.000 Kilometer. Das ist weniger Distanz als gedacht.