7 Vorschläge für dein persönliches Wörterbuch
Sie helfen dir dabei, dich selbst, die Welt und andere besser zu verstehen.
Und nicht nur das: Sprache ist der Kitt der Gesellschaft. Was wir sagen, bestimmt auch, wie wir gemeinsam handeln, was wir für richtig und falsch halten, was uns komisch oder sogar verdächtig vorkommt. Wenn wir für etwas gar keine Worte haben, sagt das auch etwas aus.
Je schneller sich die Welt um uns herum verändert, desto mehr sollten wir uns daran gewöhnen, unsere Sprache regelmäßig auf den Prüfstand zu stellen.
Deshalb haben wir uns Gedanken darüber gemacht, welche Wörter gerade noch zu kurz kommen – und welche auch du unbedingt in deinen aktiven Wortschatz aufnehmen solltest.
Viva la Vulva!
von Sarah StemmlerEr ist überall. Eingeritzt in Schulbänke, mit Edding auf öffentlichen Toilettentüren verewigt, als Graffiti in der Unterführung – der Penis.
Wo aber sind die weiblichen Geschlechtsorgane?
Ein Grund für die fehlende Sichtbarkeit ist auch die Unwissenheit. Denn um den öffentlichen Raum gleichberechtigt mit weiblichen Geschlechtsorganen auszugestalten, müsste deren Anatomie – und die Wörter dafür – erst mal allgemein bekannt sein.
Und während die männliche Hälfte meiner Schulklasse sich untereinander bei jeder sich bietenden Gelegenheit »Penis!« zurief, hatte die weibliche Hälfte gar kein korrektes Wort für dieses Untenrum. Statt Sexualaufklärung herrschte Sprachlosigkeit.
Mittlerweile kenne ich sie natürlich, die Wörter, die das weibliche Geschlecht treffend beschreiben – ich müsste sie nur benutzen. Und mich freimachen von der Scham, die diesem Bereich noch immer (ganz wortwörtlich) vorangestellt wird. Warum nicht bei der Sprache anfangen?
Das meinen auch die Journalistinnen Gunda Windmüller und Mithu M. Sanyal. Sie plädieren für mehr sprachliche Präzision untenrum
Damit wäre nicht nur die Scham auf der sprachlichen Ebene verschwunden, sondern die Bezeichnung wäre auch sachlich prägnanter.
Wenn ich also ab jetzt bewusst von »Vulvalippen« spreche, verändert das ein Stück weit meine Perspektive. Und vielleicht muss ich dann auch nicht mehr leicht verschämt überlegen, ob ein solches Wort ernsthaft für einen Teamtext geeignet ist. Denn allein dass ich darüber nachdenke,
Finanziell benachteiligt
von Chris VielhausMenschen, die mit sehr wenig Geld auskommen müssen, haben nicht nur tagtäglich mit ihrer Geldbörse zu kämpfen, sondern auch mit jeder Menge Vorurteilen. Die Stigmatisierung, die mit Armut einhergeht, wird jedoch nach wie vor kaum thematisiert. Vielleicht auch deshalb, weil sich die Formulierung »sozial schwach« etabliert hat, wann immer es in den Medien um Armut geht. Das klingt harmloser als Armut, irgendwie glatt.
Auch in wissenschaftlichen Studien zu Themen wie Chancengleichheit und Verteilung von Wohlstand lauern »sozial schwache Familien« oder »sozial schwache Kinder« hinter jeder Ecke – und tragen zum Erhalt der Formulierung bei. Nicht zuletzt auch deswegen, weil aus diesen Studien dann die journalistischen Artikel werden, die wir alle lesen.
Dabei ist »sozial schwach« ein Ausdruck, der empören sollte. Denn er ist an Zynismus kaum zu überbieten, wenn man ihn nur einen Moment lang hinterfragt. Oder was hat Einkommen mit Sozialsein zu tun?
Wenig Materielles zu haben bedeutet nicht, dass es an sozialen Kompetenzen mangelt, sondern vor allem an einem: an Geld. Nimmt man »sozial schwach« aber genau, unterstellt es diesen Menschen einen geringeren Wert für die Gesellschaft. Dabei lässt sich gerade soziale Stärke, also sich nicht nur um das eigene Wohlergehen zu scheren, sondern auch um seine Mitmenschen, wohl kaum an einem Kontostand ablesen.
Und wenn man es doch unbedingt versuchen will, stehen die Vorzeichen anders: Nicht selten scheinen Milliarden auf der hohen Kante zu unsozialem Verhalten zu verführen. Etwa zu Gier, die dazu verleitet, sich um einen fairen Beitrag zum Gemeinwesen zu drücken, indem Vermögen in Steueroasen versteckt wird.
Wer die wirklich »sozial Schwachen« in der Gesellschaft sind, lässt sich vor diesem Hintergrund also noch einmal diskutieren.
Wer aber zu wenig Geld hat, dem fehlt es an Geld. Solche Menschen sind also eher »finanziell benachteiligt«, oder, wenn wir den Realitäten nicht verklausuliert in die Augen blicken wollen: arm. Und daran sollten wir arbeiten –
Das echte Zauberwort
von Juliane MetzkerEigentlich wollte ich mir ein poetisches, schönes Wort aussuchen, aufgeladen mit Bedeutung. Aber ich habe mich anders entschieden, weil kleine Worte manchmal auch große Wirkung entfalten können.
Du hast es gerade eben bereits gelesen. Vorhang auf für die Konjunktion, deren Namensvetterin eine Stadt am Rhein ist: weil. Wer sich jetzt unbeeindruckt zeigt, sollte kurz darüber nachdenken, was bei Entscheidungen überzeugt – gute Gründe.
Und der schnellste Weg, um diese Gründe anderen Menschen gegenüber zu kommunizieren, geht über das Wörtchen »weil«. Das zeigte ein Experiment der US-amerikanischen Psychologin Ellen Langer aus den 1970er-Jahren. Sie suchte eine Antwort auf die Frage: Mit welchen Worten schafft es eine Testperson an der Schlange vor einem Kopiergerät vorbei nach vorn?
»Entschuldigung, ich habe 5 Seiten. Kann ich den Kopierer benutzen?« – 60% machten Platz.
»Entschuldigung, ich habe 5 Seiten. Kann ich den Kopierer benutzen, weil ich es eilig habe?« – 94% machten Platz.
Das Experiment zeigt auch: »Weil« wirkt sogar dann, wenn die Gründe nicht einmal »gut« sind.
»Entschuldigung, ich habe 5 Seiten. Kann ich den Kopierer benutzen, weil ich ein paar Kopien machen möchte?«
Selbst diese
In Ratgebern wird die Konjunktion als eine Art
Deshalb ist es wohl ratsam, sich exzessive »Weil-Sager« genau anzuschauen – weil am Ende dann doch die guten Gründe überzeugen sollten.
Waldbaden
von Anna GreuleIch bin buchstäblich im Grünen aufgewachsen: 150-Einwohner-Dorf, ringsherum nur Bäume. Der Wald und ja, auch die Erholung in ihm, waren selbstverständlich für mich. Dass das ein Privileg war, habe ich erst verstanden, als ich im Studium in eine größere Stadt gezogen bin und mich so von meinem Wald verabschieden musste.
Heute bin ich umgeben von Betonstraßen und Wohnblocks. Und wie so viele Städter mache ich mich regelmäßig auf die Suche nach einem Wald – um »mal rauszukommen«. Im Wald einfach mal nur da zu sein und völlig zu entspannen.
Für dieses »einfach im Wald sein« gibt es sogar ein Wort: Waldbaden. Das kommt ursprünglich aus Japan, wo das sogenannte »Shinrin-yoku« schon seit 1982 von der japanischen Regierung und Forstbehörde als Teil eines gesunden Lebensstils bei der japanischen Bevölkerung gefördert wird. Denn das Grün wirkt – und zwar weit mehr als ein Placebo: Verschiedene Studien konnten die positiven Effekte des Waldes auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden bereits belegen.
So kann Waldbaden als Abwehr gegen Infektionen und Krebs helfen, Gefühle wie Angst, Wut, Depressionen und Stress verringern und außerdem blutdrucksenkend und regenerierend wirken.
Also ab in den Wald und: Tief durchatmen! Und wer weiß, vielleicht wird so manchem durch gelegentliches Waldbaden wieder bewusst, dass wir den Wald brauchen – sich seinem Erhalt zu verschreiben
Selbstausbeutung
von Dirk Walbrühl»Natürlich wird das heute noch fertig!« Und schon rückt wieder einmal der Dienstschluss weit nach hinten, bis draußen nur noch die Straßenlaternen dem Nachtarbeiter Gesellschaft auf dem Heimweg leisten.
Rund 2 Milliarden Überstunden häuften die Deutschen laut Bundesarbeitsministerium
Warum bleibt man länger im Büro? Gute Gründe gibt es viele:
- damit wichtige Projekte, Abgaben und Ziele doch noch geschafft werden.
- um in Zeiten befristeter Arbeitsverträge den Chefs zu demonstrieren,
- weil man die Kollegen, die heutzutage ja selbstverständlich Freunde sind, nicht hängen lassen will.
Hauptsache das Ergebnis stimmt; Arbeitszeiten sind sowieso eher grobe Richtlinien, oder?
Falsch. Denn die Gewohnheit, ständig länger im Büro zu bleiben, kann zu anhaltendem Stress, Überforderung und Erschöpfung führen
Das alles ist nicht neu, wird aber von manchen Unternehmen heute kalkulierend in Kauf genommen.
Das beweist die Tech-Branche,
Dabei ist an Mehrarbeit erst mal ganz und gar nichts Nobles. Sie wurzelt in unserer Wirtschaft, in der Erfolg und Gewinnmaximierung regelmäßig über persönlichem Wohl stehen. Sie ist eine logische Konsequenz einer Leistungsgesellschaft, die Arbeit mit Identität gleichsetzt und in der nur produktive Zeit als wertvoll gilt.
Doch das geht am Ende zulasten des Arbeitnehmers. Und so steckt hinter Mehrarbeit und gewohnten Überstunden eine moderne Form der Ausbeutung, die einen passenden Namen verdient:
Ein Wort, das dabei helfen kann, die Ausbeutung zu erkennen, die in unseren Köpfen steckt. Denn niemand sollte sich ausbeuten lassen. Auch nicht freiwillig.
Ich weiß, dass ich nicht alles weiß
von Katharina WiegmannVor Kurzem wurde ich für einen Podcast
Meine These: Die Demokratie steht effizienten Lösungen nicht im Weg, sie ist schlicht noch nicht gut genug, um die »besten« Lösungen produzieren zu können.
Daraufhin fragte mich die Journalistin, was Schweden für den Klimaschutz tue – ein Land, das in Demokratie-Rankings regelmäßig weit vorn liegt. »Das weiß ich nicht«, lautete meine Antwort,
Dabei war das die beste Antwort, die ich geben konnte.
Denn ich durchschaue normalerweise genau, wenn Menschen Antworten geben, die nicht durchdacht oder fundiert sind. Sie geraten ins Schwafeln, kommen nicht auf den Punkt. Und sabotieren damit eigentlich die Gesprächssituation. Man könnte auch sagen: Mit ihrer Unaufrichtigkeit stehlen sie ihren Gegenübern Zeit.
Das ärgert mich.
Wer nämlich nervös schwitzend Kompetenz vorgibt, um das eigene Gesicht zu wahren, erzeugt ganz sicher keinen Moment der Erkenntnis bei seinen Zuhörern, der etwas im Denken und Handeln verändert.
Aha-Effekte entstehen aus Situationen, in denen wir uns über Nichtwissen austauschen. Das ist nicht nur ehrlicher, es sagt auch etwas über die blinden Flecken der Gesellschaft aus.
Dir ist nicht ganz klar, wofür das
Mensch mit Behinderung, oder einfach: Mensch
von Stefan BoesZu den unmöglichsten Dingen, die sich Jugendliche auf den Schulhöfen an den Kopf werfen, und die man selbst erwachsene Menschen sagen hört, gehören Beleidigungen wie »Du Spasti!«, »Du Mongo!«, oder auch: »Bist du behindert!?«
Diese Verunglimpfung des Wortes »Behinderung« mag ein Grund dafür sein, dass der deutsche Sprachgebrauch mittlerweile zahlreiche Alternativen bereithält. Das passiert häufig: Wörter werden aus guten oder gut gemeinten Gründen unsagbar. Von »Mongoloiden« für Menschen mit Trisomie 21 redet zum Glück kaum noch jemand,
Das klingt alles ziemlich neutral und doch scheuen sich manche, von Behinderungen zu sprechen und reden lieber von »Handicaps« oder »Herausforderungen«. Positiver formuliert ist auch von »speziellen Bedürfnissen« die Rede,
Ich wollte anfangs zwar nicht einsehen, dass mein Kind von jetzt auf gleich
Der Impuls, einen leichten, positiven oder neutralen Begriff zu finden,
Sprechen wir doch einfach, falls es dazu Anlass gibt, von schweren und leichten, kognitiven und körperlichen Behinderungen, von schwerst-mehrfachbehinderten Menschen und solchen mit Lernbehinderungen. Aber viel besser noch: Reden wir über das, was die Betroffenen neben ihrer Behinderung noch so alles sind. Also einfach: über Menschen.
Titelbild: Bewakoof - gemeinfrei